Dienstag, 31. Juli 2012

Das Organ und der Majestätsplural der "Basis"

Im Moment diskutieren wir in der Piraten Partei Tirol gerade unsere künftige Organisationsstruktur. Unter Piraten kann so etwas freilich lebhafte Diskussionen aufwerfen, nicht ohne auch etwas Zynismus aufkommen zu lassen. Auf den Vorschlag einer Struktur, die von den Stammtischen gewählte Bezirkssprecher vorsieht, kamen auch mahnende Worte, daß dies unter Umständen eine Verkomplizierung der Organisation mit sich bringt, sowie ein für Piraten untragbares Hierarchiegefälle (vgl. Grafik links). Damit einhergehend wurde auch eingemahnt, daß in Piratenparteien doch eigentlich immer die Basis an oberster Stelle sein müsse, denn in einer Basisdemokratur...pardon, Basisdemokratie...hat immer die Basis oberste Priorität. Gewählte Amtsträger sind letztlich immer nur Sprachrohr der Basis.

Nachdem wir bereits Alexander Ofer, der als "Käptn" durch seinen sehr autoritären Führungsstil die Unterstützung der Basis verlor, abgewählt haben, sind wir nun sehr vorsichtig bei der Neustrukturierung der Piraten Partei Tirol. Wir möchten künftig verhindern, daß eine Funktion bzw. ein Amt innerhalb der Partei ein Machtgefälle provoziert.  Insofern studieren wir momentan sehr aufmerksam wie andere Piratenparteien ihre Organisationsstrukturen gestalten, damit wir Input bekommen, welche Form der Strukturen auch für uns passen könnte.

Wenn ich mich hie und da in den Foren unserer Schwesternpartei, der Piratenpartei Österreich, tummle, so lese ich immer wieder von "Organen". Diese Organe betreffen etwa Funktionen wie die Bundesgeneralversammlung (BGV), den erweiterten Bundesvorstand (EBV), den Bundesvorstand (BV), die diverses Taskforces (TF, Arbeitsgruppen), die Landesvorstände, die Basis und diverse neutrale Instanzen (Rechnungsprüfer, Schiedsgerichte,...). Die Organe werden weitgehend basisdemokratisch bestimmt.
Oha...die Basis ist aber auch ein Organ? Wer ist denn nun aber eigentlich "die Basis"? Darüber streiten sich nämlich gerade die Geister in der PPÖ, wenn es um die Teilnahme an Abstimmungsmedien geht. Ist die Basis nun die Anzahl der an Liquid Feedback angemeldeten 123 Teilnehmer, sind es die rund 300 zahlenden PPÖ-Mitglieder oder ist es die Gesamtheit der etwa 1200 PPÖ-Mitglieder, die leider größtenteils bislang keine Mitgliedsbeiträge geleistet haben...oder sind es die Handvoll Forenteilnehmer, die gerade am lautesten schreien, daß sie selbst die Basis sind?

Basisdemokratie kann es nicht allen recht machen. Und genau das macht es so schwierig...es handelt sich dabei ja quasi um ein mathematisches Problem. Nehmen wir an, es gibt 300 zahlende Mitglieder, so haben wir 300 mögliche Zahler, respektive Zähler, aber nur einen Nenner, nämlich "300". Wenn nun beispielsweise 203 Mitglieder einen gewählten Vorstand und seine Arbeit unterstützen, sich weitere 46 Mitglieder einer Meinung enthalten, und weitere 51 Mitglieder einen Vorstand nicht unterstützen, so kann man das auf folgende Art und Weise interpretieren:
Wir haben nun 203 zufriedene Mitglieder; 46, denen es weitgehend egal ist und 51 Mitglieder, die unzufrieden sind.
Betrachten wir einmal den Zustand, in dem sich diese Menschen  nun nach ihrer Abstimmung befinden:
  1. "Die Menschen sind so gut und glücklich, wenn das Gute sie eint, verbindet und zusammenschließt!" (Denis Diderot)
  2. "Unentschlossenheit ist auch eine Feigheit: Willensfeigheit." (Carl Spitteler)
  3. "Der unzufriedene Mensch findet keinen bequemen Stuhl." (Benjamin Franklin)
Während sich die zufriedenen Unterstützer, die sich als Mehrheit herauskristallisiert haben, nun in einem Gefühl der Einigkeit und des Aufbruchs zu neuen Ufern und großen Taten befinden, sitzen die Unzufriedenen auf sehr undankbaren Plätzen - sie rutschen automatisch in eine Art Kritiker- und Aufpasserrolle, eine Oppositionsstellung innerhalb der Partei.
Die Unentschlossenen hingegen lehnen sich zurück und warten ab, denn um eine Entscheidung zu treffen, hatten sie entweder noch nicht genug Information, oder es fällt ihnen generell schwer Stellung zu beziehen, da sie möglicherweise Angst vor Fehlentscheidungen haben.
Das ganze wird noch komplexer dadurch, daß von den 300 Abstimmungsberechtigten nicht alle an einer solchen Abstimmung, wie im soeben dargelegten fiktiven Beispiel, teilnehmen würden.
Fakt ist: es gibt auch in den Piratenparteien einen hohen Prozentsatz an Nichtwählern. Das sind Menschen, die es zwar begrüßen theoretisch eine Wahlmöglichkeit zu haben, aber in der Praxis keine Lust darauf haben, dieses Wahlrecht auszuüben.

Das Problem, das Piratenparteien nun haben, das ist, daß es immer einen gewissen Prozentsatz an Unzufriedenen gibt. Im allgemeinen ist dieser Prozentsatz nicht besonders hoch, dennoch ergeben sich in einer basisdemokratischen Partei dadurch Schwierigkeiten.
In Niedersachsen nahmen unzufriedene Parteimitglieder ihre parteiinterne Oppositionsrolle sogar so ernst, daß sie den Parteitag durch Einsprüche so lange störten, daß die Wahl der Landesliste für ungültig erklärt wurde, und unter großem Aufwand neu gewählt werden mußte.

Ein derartiges Blockieren kratzt nicht nur am Image der Piraten, vielmehr verdrießt es auch jenen ihr Engagement, die sich ehrenamtlich mit viel Zeit und unter Aufwendung persönlicher Ressourcen für die Partei betätigen. Die deutschen Piraten sagen daher nun den Querulanten in den eigenen Reihen den Kampf an - bei einer Mitmachpartei ist Einsatz gefordert, nicht Blockade aufgrund persönlicher Befindlichkeiten.
Die Basis ist die Gesamtheit der Piraten, die Unzufriedenen sind daraus nur eine kleine Schnittmenge und auch sie müssen lernen, daß im piratischen Diskurs das einzelne Ego nicht über der Basis steht. Genau genommen ist jedes "Organ" bzw. jeder Funktionär und jeder Vorstand auch ein Teil der Basis, denn auch ihm/ihr steht bei Abstimmungen dasselbe Stimmrecht zu wie allen anderen Basismitgliedern.

Wir müssen uns immer wieder ermahnen, daß wir als Piraten übergeordnete Ziele verfolgen, und uns nicht nur um uns selbst drehen sollten - wir wollen die Politik durch Schwarmintelligenz verändern und direkte Demokratie für die Bürger einfordern. Wir brauchen aber unsere Vorstände und Funktionäre bzw. "Organe": sie sind es, die ihre Person, ihre Freizeit und ihr Engagement der Parteiarbeit widmen. Sie sind die Ansprechpartner der Öffentlichkeit. Sie ernten zwar die meiste Aufmerksamkeit, aber auch den meisten Spott und Hohn - Politiker aus Notwehr zu sein, das ist kein Honiglecken.
Das Wahljahr 2013 bringt noch viele Herausforderungen mit sich - wir sollten zusammen an einem Strang ziehen anstatt uns einen Strick zu drehen.





























Eure Irene

6 Kommentare:

  1. sehr treffend geschrieben,

    wir empfehlen für abstimmungen nebst Liquid Feedback, auch das sk-prinzip.net, das systemische Konsensieren, und würden uns über die Teilnahme diverser PiratInnenan der www.ig-demokratie.at sehr freuen,

    beste Grüße
    Stefan Schartmüller

    AntwortenLöschen
  2. Danke für die Hinweise! Das sk-Prinzip wär sicher mal etwas für einen separaten Artikel - klingt interessant. LG

    AntwortenLöschen
  3. Für mich ist die Basis einer Partei die Summe aller Mitglieder! Bei den Mitgliedern unterscheide ich zwischen aktiven und passiven Mitglieder. Die heutige Zeit bringt es leider mit sich, dass viele Menschen zu sehr im Hamsterrad des Alltags eingesperrt sind. Abhilfe könnte hier ein bedingungsloses Grundeinkommen - wie es die Piratin Susanne (Wiest) in Deutschland fordert - schaffen.
    Passive Mitglieder können ihr Stimmrecht einem Pirat ihres Vertrauen anvertrauen. Das finde ich gut! Noch besser finde ich, dass ein Pirat sein Stimmrecht wieder entziehen kann.
    Was Hierarchien angeht: Meiner bescheidenen Meinung nach brauchen auch die Piraten Hierarchien - keine Hierarchien, die auf Autorität aufbauen, sondern gewachsene Hierarchien - basierend auf profundem Wissen - eben fachliche Kompetenz. Kein Mensch kann über alles Bescheid wissen - also brauchen auch die Piraten Spezialisten, Fachmänner und -frauen, die besonders kompetent sind für bestimmte Themenbereiche.
    Solche Fachleute müssen sich permanent auf dem Laufenden halten, das ist kein Hobby, sondern ein Vollzeitjob! Und damit komme ich zu einem sehr wichtigen Punkt: Solche Topfachleute brauchen Geld fürs Leben, also brauchen sie einen Lohn von der Partei. Niemand kann verlangen, dass sie alles freizeitmäßig als Hobby erarbeiten. Neben Beruf, neben Familie, neben sozialer Kontaktpflege! Etwas anders sähe es aus, hätten wir schon ein wirkliches BGE!
    Vielleicht noch ein Tipp: Werft nicht mit zu vielen Fachbegriffen um euch - damit verschreckt ihr die normalen Bürgerinnen und Bürger!
    Zum Beispiel "systemisches Konsensieren"! Damit vertreibt ihr potentielle Wählerinnen und Wähler. Es wäre schade, wenn die Grundkonzepte der Piraten nicht beim Volk ankommen.
    Information und viel Pressearbeit ist angesagt.
    Ich halte an sich nicht viel von Martin Luther - jedoch in einem Punkt lag er richtig: "Wir müssen dem Volk aufs Maul schauen!"
    So, jetzt habe ich mal meinen Dampf abgelassen und ich fühle mich besser;-)

    AntwortenLöschen
  4. Danke für den zum Nachdenken anregenden Artikel!

    Mir persönlich sind möglichst einfache und klare Strukturen am liebsten; fühle mich von einer solchen basisnahen Bewegung ohne "Kader" und "Organisationshierarchien" am stärksten angesprochen. Wenn ich das so lese, wirkt die Struktur der Piraten-Österreich schon wieder kompliziert und nicht ganz so niederschwellig, wie ich es mir erhoffen würde. Sicher kommt man rasch rein, wenn man selbst aktiv mitarbeitet, aber nach außen wirkt es ziemlich nach "Organinflation" ;)

    Alles Gute!

    AntwortenLöschen
  5. das wort "Schwesternpartei" ist schräg, sonst super, lg

    AntwortenLöschen