Samstag, 6. Oktober 2012

Blick aus dem Krähennest: Piraten weltweit

Fritz Plasser, der bekannte Politiologe, sagte im vergangenen Club 2 treffend, aber auch bewußt provokant, daß Österreich eine Boulevarddemokratie ist. Nirgends in Europa haben über Boulevardblätter verbreitete Inhalte soviel Einfluß auf die Politik wie hierzulande. Umgekehrt vergibt die Politik aber auch horrend hoch dotierte Werbeaufträge an die Medien, insbesondere an die Boulevardpresse, die bundesweit sehr hohe Auflagenzahlen verzeichnet - damit hält man sich die Presse gewogen. Genau aus diesem Grunde ist ja auch die derzeit diskutierte "Inseratenaffäre" so brisant.

In Österreich gilt: Bist du nicht in den Medien, so existierst du nicht.
Neulich meinte einer meiner Bekannten, daß es die Piraten in Deutschland ja nun wohl auch nicht mehr gibt, und auch hierzulande würden sie vermutlich auch nur gescheit reden, aber nichts tun, weil sonst würde man ja mehr von ihnen hören oder lesen.
Das war ein Schlag in die Magengrube. Ich fragte ihn verwundert, wie er denn darauf kommt, daß es die deutschen Piraten nicht mehr gäbe? Etwa nur, weil in österreichischen Kasblattln nicht mehr über sie berichtet wird?

Die PPD ist immerhin eine Partei mit ca. 35.000 Mitgliedern. In 4 deutschen Bundesländern hat die Partei bereits Wahlergebnisse zwischen 7,4 und 8,9 % erreicht und stellt dort zwischen 4 und 15 Mandatare.
Naja, zugegebenermaßen mußte ich einräumen, daß es in Österreich bisher leider erst einmal gelang einen Mandatar in einem Gemeinerat zu senden, als die Piraten Partei Tirol im April 2012 immerhin 3,8% in Innsbruck erreichen konnte. Und genau jener Mandatar (Alexander Ofer) legte nach der Wahl ein dermaßen unpiratiges Gebahren an den Tag, daß wir uns von ihm trennen mußten. Heute distanziert Ofer sich inzwischen sogar von der Basisdemokratie, einem Grundideal der Piraten. Nichtsdestotrotz ist die Piratenbewegung in Österreich so lebendig wie noch nie, v.a. seit die Piraten Partei Tirol und die Piraten Partei Österreichs nun wieder Seite an Seite segeln, und durch das ehrenamtliche Engagement der Mitglieder emsig an ihrem Programm für bevorstehende Wahlen arbeiten..

Laut dem aktuellen Stand, der von der Piraten Partei International (PPI) aktualisiert und kolportiert wird, gibt es derzeit 2 Piraten im Europäischen Parlament, 45 Piraten auf Bundesländerebene und ca. 200 Piraten auf der Lokalebene. Eigentlich kein schlechtes Fazit für eine Bewegung , die heuer erst ihren 6.Geburtstag feiert.
In der Schweiz, in der Ortschaft Eichberg, wurde im September 2012 erstmals sogar ein Pirat Bürgermeister und auch in Winterthur verzeichnet die Piratenpartei ein Mandat.
Überall in Europa gelangen Piraten in diverse Gremien. Nicht selten kandidieren sie auf den Listen anderer, themenverwandter Parteien und erreichen auf diesem Wege ein Mandat.
Der tunesische Pirat und Blogger Slim Amamou wurde sogar zum Staatssekretär (für Jugend und Sport) der tunesischen Übergangsregierung ernannt. Allerdings legte er seinen Posten im Mai 2011 zurück.
Wie man sieht, die Piraten sind durchaus präsent, auch wenn die österreichische Presse - mit Ausnahme der Onlineversion der Zeitung Standard - sie weitgehend totschweigt.
Es gibt derzeit 16 offiziell anerkannte Piratenparteien und zudem 24 in der Gründungsphase befindliche Piratenparteien, d.h. in mindestens 40 Ländern der Welt gibt es mindestens eine aktive Piratengruppierung.
In Asien gibt es leider noch viele blinde Flecken auf der Piratenlandkarte, und in Nordamerika scheint es offenbar schwieriger für Piratenparteien offiziellen Status zu erreichen als etwa in Russland, wo die Piraten nun nach 3 Jahren heuer endlich ihren Parteistatus durchgesetzt haben. In den USA ist die Piratenpartei erst in zwei Bundesstaaten offiziell anerkannt, nämlich in Florida und Massachusetts.
Dennoch: die Piratenbewegung wächst ungebrochen und dank des Internets kann man sie auch nicht mehr totschweigen.

Autorin: Irene L.
Bildquelle: PPI-Logo, wikipedia

6 Kommentare:

  1. Schöner Beitrag, allerdings – welche Aufmerksamkeit haben die Piraten verdient? Was haben sie zur Realpolitik (!) momentan beigetragen? V.a. in Deutschland glänzen die Piraten mehr durch Chaos (siehe Julia Schramm und ihr messen mit zwei verschiedene Maß; der Piratenchef selbst, etc) und selbst in Tirol sieht es nicht besser aus. Internet, etc sind ja schöne Themen, aber wo steht ihr bei Themen wie EU, Bildung, Renten, Migration? Denn um die geht es in der Realpolitik, und weniger um etwaige kostenlose Downloads. Auch die direkte Demokratie scheint löblich, aber wie und ob sind sich die Piraten auch nicht so einig? Der (seriöse) Output ist doch viel zu wenig. Und nur, weil eine Partei existiert, rechtfertigt das nicht eine gewollte Präsenz in den Medien.

    Beste Grüße,
    Julian

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  2. Wenn man sich die politische Berichterstattung in Österreich derzeit ansieht, so stellt man fest: einige Parteien ernten mediale Aufmerksamkeit durch Korruptionsfälle, andre kaufen sie sich mit ihren Millionen...so gesehen ergibt es plötzlich Sinn, daß Piraten nicht dauernd in den Medien zugegen sind, denn weder Korruption noch erkaufte Berichterstattung kann man uns nachsagen.

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  3. Zum Glück. Aber anderes, positives, kann man euch leider auch nicht nachsagen. Also - Taten sprechen lauter als Worte!

    Und wie gesagt - eine Platzierung zu bestimmten Themen wäre langsam angebracht. Liebe Autorin, wie stehst du selber zu Themen wie Europa, was ist mit Ausländern, wie sieht es mit Studiengebühren bzw. der sinkenden Qualität der österr. Unis aus. Welche Ansätze haben da die Piraten?

    In dem Sinne liebe Grüße

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  4. Meine persönlichen Ansichten werden vermutlich nicht immer deckungsgleich mit den Positionen sein, die wir als Kollektiv abstimmen.

    Ich persönlich befürworte ein Europa der Regionen, ein JA zur EU, wobei ich denke, daß ein wirtschaftlicher Schwerpunkt auf Förderung regionaler Produzenten und Anbieter gesetzt werden sollte. Das fördert Produktion und Handel in der eigenen Region, was wiederum Geld in die Steuerkasse spült und Arbeitsplätze sichert. Und geht´s einer Region gut, so wird die benachbarte Region auch davon profitieren und im Sinne von nachbarschaftlicher Verflechtung und Unterstützung gewinnt dann Europa als ganzes. (Leopold Kohr/E.F. Schuhmacher --> "Small is beautiful" finde ich da sehr inspirierend.)

    Wenn du mit "Ausländern" auf meine Sicht der Integrationspolitik hinaus willst, so sehe ich viele Dinge, die man verbessern müßte. Menschen sind immer schon auf diesem Globus hin- und hermigriert...sonst säßen wir ja immer noch in Afrika. Im Grunde denke ich, daß jeder Mensch wohnen können soll, wo er möchte, allerdings sehe ich, daß die materielle Ungleichverteilung in unterschiedlichen Länder und Kontinenten dazu führt, daß Menschen ohne, daß sie es möchten, abwandern oder gar flüchten müssen.
    Österreich ist ein sehr kleines Land und daher kann es auch nicht unkontrolliert jeden aufnehmen - ich erkenne diese Realität begrenzter Ressourcen und Jobmöglichkeiten in diesem Land. Daher sollen Asylanträge möglichst rasch und ordentlich geprüft werden und die Menschen müssen in dieser Zeit in einem menschenwürdigen Quartier untergebracht sein, das ihnen Sicherheit gewährleistet. Auch Angebote zum Erlernen der deutschen Sprache sollten bereits gleich von Anfang an zugänglich sein für Migranten, denn sobald diese Menschen die Genehmigung haben hier zu wohnen und zu arbeiten, sollen sie sich auch verständigen können.

    Ich hab mich ja damals maßlos geärgert als Gusenbauer, der sich im Wahlkampf noch gegen Studiengebühren stellte, es dann zuließ, daß sie eingeführt wurden. Ich habe mich aber auch rasch daran gewöhnt und fand die Ausnahmeregelungen für sozial schwächere Studenten praktikabel. Daher finde ich eine Studiengebühr von ca. 300 Euro/Semester okay, sofern weiterhin die Möglichkeit besteht, daß sozial schwächere Studenten Anträge auf Erlaß stellen können.

    Die sinkende Qualität der Unis sehe ich darin begründet, daß einerseits zuwenig Mittel für Forschung vergeben werden, zum anderen, daß viele Dozenten seit vielen Jahren die ewigselben Lehrinhalte runterspulen, weil sie sich selbst noch nicht in die neuesten Methoden eingearbeitet haben. Viele sitzen einfach nur mehr ihre Zeit bis zur Pensionierung ab. Hinzu kommen überlaufene Modestudien und schlechte Jobaussichten, die für viele Studenten Motivationsbremsen darstellen - auch Studenten lernen oft einfach nur nach Vorschrift ohne sich eigenverantwortlich für ihr Fach zu engagieren.

    Puh, das war ein langer Wust.
    Was die Piraten generell denken - hier Links zu den Positionen der PPÖ und zu ihren Taskforces, von denen es fast zu jedem Thema eine gibt.
    Bei der PPT sind wir, da wir eine Landespartei sind, noch nicht so weit ins Detail vorgegangen, aber im Wesentlichen sind die Standpunkte sehr ähnlich bis ident:
    http://wiki.piratenpartei.at/wiki/Parteiprogramm
    http://wiki.piratenpartei.at/wiki/Kategorie:Taskforce

    Hinzu kommt, daß die Piraten sich primär als Grundsatzpartei erfassen - d.h. es gibt kein vorgefertigtes Programm, das von oben nach unten übergestülpt wird.
    Es ist vielmehr so: eine Frage zu einem Thema steht an, es folgt eine Diskussion, die in einer Abstimmung endet - das mehrheitliche Ergebnis gilt dann als Position bzw. Parteilinie nach draußen, wenngleich kein Pirat einem Klubzwang unterliegt und jederzeit sagen darf, daß seine persönliche Meinung beispielsweise nicht mit der Parteilinie überein stimmt.
    Das ist eine neue Form des Politikmachens.

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  5. Eine wirklich umfassende Antwort! Danke.

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  6. Danke für diese ausführliche und interessante Antwort! Ich denke, wenn sich alle Piraten so formulieren bzw. Stellung beziehen würden, wäre es der Partei sehr zuträglich. Alles Gute!

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